Viel mehr als Ahorn und Bären fiel mir erstmal nicht zu Kanada ein, bevor ich kürzlich die Koffer packte und hinfuhr. Auch wenn man eine Weile überlegt, was Kanada so auszeichnet oder was dort so passiert, kommt erstmal lange nichts.
Der kurze Aufenthalt lehrte mich aber (natürlich) eines Besseren. Ahornbäume und Ahornsirup sind tatsächlich allerorts und bestimmen Landschaftsbild und Shoppingdüfte. Aber dann sind da auch die Niagara-Fälle mit ihrer ungemeinen Dramatik. Der Weg dorthin ist gemächlich; es gehtvorbei an Blumenschauen und kleinen Kapellen. Dann aber sieht man den Wasserqualm aufsteigen, den die sambischen Einwohner nahe der afrikanischen Viktoria-Fälle bildhaft als Mosi-o-Tunya bezeichnen: “Der Qualm, der donnert”.
Die Niagara-Fälle sind kleiner als die Viktoria-Fälle, aber sie sind ebenso schön und eindrucksvoll. Im Sonnenschein hält sich ein Regenbogen wacker im Tosen der stürzenden Wassermassen. Kormorane und Möwen fliegen spasshaft in die Aufwinde, lassen sich ohne Flügelschlag über die Bruchkante heben und dabei ordentlich einfeuchten.
Und Kanada, gerade die Region um die Niagara-Fälle, ist reich an Wein. Riessling, Sauvignon Blanc, Merlot und viele der üblichen Rebsorten reifen im kanadischen Sommer. Den Winter überstehen sie dagegen nur durch wärmende Ventilatoren. Weinkellereien laden Besucher allerorts ein zu Führungen und Weinproben. Dabei durfte ich dann auch die für mich leider zu schmalbrüstigen Weine kennenlernen. Ich brauche es etwas gewichtiger; einen Wein zum Beispiel, der der Würze meiner Zigarre Paroli bieten kann.
Und dann brachte mich Kanada schliesslich auch näher an ein Thema, das ich als gebürtiger Mitteleuropäer und Wahlasiate ansonsten in der Tagespresse nur gestreift hätte: Das russische Fähnlein unter dem Nordpol! Alle belächeln, gerade auch die Kanadier, dass eine russische Expedition ein Titan-Fähnchen der Föderation unter dem schmelzenden Eis anbrachte, um Ansprüche auf die natürlichen Ressourcen der Arktis anzumelden. Was ich aber erst hier lernte: die Kanadier schicken nun ihrerseits eine Expedition ins Eis, selbst der Premierminister wird zugegen sein. Und dann folgen auch die US-Amerikaner auf ihren Schiffen.
Es beginnt ein “Wettrüsten” der Eisbrecher, deren Schlagkraft in der Dicke der gebrochenen Eisschollen gemessen wird. Wie andernorts, haben wohl auch hier die USA die stärksten “Waffen”. Deren Eisbrecher kommen auch noch durch 2 Meter dickes Eis. Ich bin sicher, der Konflikt wird weiter schwelen. Er wird uns sicher immer dann über die Medien in die Augen springen, wenn sich eine der Parteien qua Medienberichterstattung einen politischen Vortreil verspricht. Das dürfen wir wohl auch als Ursache der russischen Expedition annehmen.
Schließlich bietet die kanadische Innenpolitik ein interessantes Thema: die Provinz Quebec, die sich als französisch-sprachige Entität gerne von Kanada lossagen möchte. Nun gibt es ein Gesetz Nr. 101 zur Sprachregelung in dieser Provinz. Leider kenne ich dieses Gesetz nicht, aber es hat wohl laut jüngster Untersuchungen dazu geführt, dass französischsprachige Quebecer, die immer zu den geringerverdienenden Einkommengruppen gehörten, hohe Einkommenszuwächse erzielten, sofern sie das Englische als zweite Sprache erlernten. Die Wohlstandsgewinne sind beträchtlich und zu einem grossen Teil – jedenfalls laut hiesiger Zeitung – auf den Spracherwerb zurückzuführen.
Da ich mich in Malaysia viel mit der Frage beschäftigte, wie die Sicherung kultureller Identität durch muttersprachliche Erziehung vereinbart werden kann mit dem Ziel der nationalen Integration und individueller Wettbewerbsfähigkeit durch Erziehung in der lingua franca, gab mir die kanadische Diskussion die Anregung, mich näher mit dem Thema zu befassen und gerade auch internationale Vergleiche anzustellen. Vielleicht haben ja auch Leser dieses Blogs Anregungen zum Thema.
Wenn wir bei Kanada also impulshaft an Lachs-fischende Bären in grünen Ahornwäldern denken: es ist also nicht alles nur grün und friedlich im Lande Kanada. Es ist aber mit Sicherheit ein Land, das jemanden wie mich, der gerade aus Koffern lebt und etwas entwurzelt dasteht, tief Atem holen lässt.